Der Verfahrensingenieur

Die Entwicklung der Verfahrenstechnik zu einer Ingenieurdisziplin ist eng mit der Entwicklung der Chemischen Industrie seit der Mitte des 19. Jahrhunderts verknüpft. Der Verfahrensingenieur hatte (und hat) dort die Aufgabe, die vom Chemiker in Laborversuchen erarbeiteten Ergebnisse in den Produktionsmaßstab zu übertragen. Markante Beispiele hierfür aus späterer Zeit sind Hochdruckverfahren wie die Ammoniaksynthese, die Methanolsynthese und die Kohlehydrierung. Bei solchen Entwicklungen sind von Anfang an Vorstellungen und Denkweisen des Chemikers und des Physikers mit denen des Ingenieurs zu verbinden. Aus den geschilderten Aufgaben folgt ein Anforderungsprofil, das damals nur durch Weiterbildung der Ingenieure im Rahmen der industriellen Praxis erfüllt werden konnte. Heute ist die Verfahrenstechnik im Rahmen der Ingenieurwissenschaften ein eigenständiges und interdisziplinäres Fachgebiet, das an Technischen Hochschulen, Technischen Universitäten, Universitäten und Fachhochschulen als Studiengang oder Vertiefungsrichtung gelehrt wird.

Die Arbeit des Verfahrensingenieurs

Eine breite Ausbildung ermöglicht es dem Verfahrensingenieur, in vielen bedeutenden Industriezweigen tätig zu werden. Mehr als die Hälfte der deutschen Industrieproduktion benötigt maßgeblich verfahrenstechnische Prozesse. So trifft man auf Verfahrensingenieure in folgenden Bereichen:

In allen genannten Industriezweigen muß sich der Verfahrensingenieur auch mit den spezifischen Problemen des Umweltschutzes und der Sicherheitstechnik auseinandersetzen. Außerdem stellen Unternehmen, die speziell mit der Produktion und Weiterentwicklung umwelttechnischer Einrichtungen befaßt sind, einen weiteren anspruchsvollen Einsatzbereich für Verfahrensingenieure dar. Auch im Dienstleistungsbereich sind Verfahrensingenieure zu finden, z.B. in Ingenieurfirmen, bei Behörden (Gewerbeaufsicht, Technische Überwachung usw.), bei den Berufsgenossenschaften, bei Patentämtern, in Forschungsanstalten und nicht zuletzt auch an den Hochschulen und Universitäten. Je nach Neigung und Eignung kann ein Verfahrensingenieur in all den genannten Bereichen vielseitige und verantwortungsvolle Aufgaben wahrnehmen, z.B. in

Auch an dieser Stelle soll ein Beispiel zum Verständnis beitragen: Denken Sie an einen neuen Kunststoff, der in der Forschungsabteilung eines chemischen Werkes entdeckt wurde und der neuartige Eigenschaften zeigt, etwa eine gute biologische Abbaubarkeit auf der Mülldeponie. Jetzt soll dieser Kunststoff in großen Mengen in einem neu zu erstellenden Betrieb produziert werden. Zunächst wird das Gesamtverfahren betrachtet, das in unserem Beispiel die Herstellung der Ausgangsstoffe (etwa Monomere - das ist ein Stoff der aus kleinen Molekülen mit wenigen Atomen besteht), die Abtrennung der Nebenprodukte, die Polymerisierung der Monomere (das ist die Verbindung der Monomere) zu einem Riesenmolekül in einem Lösungsmittel, seine Abtrennung und die Gewinnung des gewünschten Kunststoffgranulates umfaßt. Dabei ist zu bedenken, daß sich die einzelnen Verfahrensschritte gegenseitig beeinflussen. Läuft z.B. die Reaktion im Reaktor nicht vollständig ab und das Reaktionsprodukt erhält noch Einsatzstoffe, so werden diese abgetrennt und wieder zugeführt. Einerseits ist die Aufarbeitung um so kostenintensiver, je unvollständiger die Reaktion abläuft, also um so mehr an Einsatzprodukten das Reakionsprodukt noch enthält; andererseits erfordert eine Reaktion, in der alle Reaktionspartner vollständig verbraucht werden, längere Reaktionszeiten und damit größere Reaktoren. Zwischen diesen beiden Positionen sucht der Verfahrensingenieur nach der optimalen Lösung. Mit dieser Betrachtung des Geamtverfahrens legt in der Regel die Forschungs- und Entwicklungsabteilung die einzelnen Verfahrensschritte unter Berücksichtigung wirtschaftlicher und umweltverträglicher Gesichtspunkte fest. Erst dann erfolgt die Dimensionierung der dazugehörigen Einzelapparate. In vielen Fällen stehen dabei auch mathematische Modelle zur Verfügung, deren Auswertung mittel Computern erfolgt. Für eine praxisgerechte Auslegung müssen auch empirische Parameter herangezogen werden, die durch Experimente ermittelt werden müssen. Der Trend geht dahin, die Zahl der erforderlichen teuren Experimente einzuschränken und die Leistungsfähigkeit der Modelle zu erhöhen. Nun erfolgt die Bearbeitung des Projekts in der Planungsabteilung, wo u.a. die Konstruktion und Aufstellung der Einzelapparate, die Verrohrung der Gesamtanlage und das Regelkonzept festgelegt wird. Hier ist die enge Zusammenarbeit zwischen Verfahrensingenieur, Bauingenieur, Regelungstechniker, Werkstoffachmann, Maschinenbauer usw. notwendig. Außerdem erfolgt in diesem Bereich die Vergabe der Aufträge zur Fertigung der Einzelapparate an die Apparatebaufirmen. An dieser Schnittstelle liegt der Übergang vom Papier, sprich der Konstruktionsbezeichnung, zur fertigen Anlage. Bei den Apparatebaufirmen ergeben sich aufgrund eigenen Engineering- und Fertigungs-Know-hows Kontroll- und Optimierungsfunktionen für den Verfahrensingenieur, der dafür sorgt, daß die verfahrenstechnische Idee nach seinen Vorstellungen umgesetzt wird. Auch beim nächsten Schritt, der Aufstellung der Einzelapparate und ihrer Zusammenschaltung, hat der Verfahrensingenieur Überwachungsfunktionen und gewährleistet schließlich ein sicheres Anfahren und einen sicheren Betrieb der Gesamtanlage. Beim laufenden Betrieb der Anlage benötigt man Verfahrensingenieure als Betriebsingenieure. Ziel ist es, die Produktion zu optimieren, d.h. die Anlage auf Schwachstellen hin zu untersuchen und falls erforderlich, ganze Verfahrensschritte durch andere zu ersetzen. Eine Umstellung einzelner Verfahrensschritte wird z.B. auch dann erforderlich, wenn sich bei dem neuen Kunststoff die Rohstoffbasis zu preiswerteren Ausgangsstoffen mit anderer Zusammensetzung verschiebt. Der Kunststoff verläßt als Granulat die chemische Fabrik; die Herstellung der gewünschten Gebrauchsgegenstände erfolgt z.B. auf Spritzgußmaschinen in der kunststoffverarbeitenden Industrie. Hier werden Verfahrensingenieure benötigt, um die Ausführung der Gußformen an Hand der Stoffeigenschaften des Kunststoffes festzulegen. Der Entwurf und der Betrieb von Anlagen in der kunststoffverarbeitenden Industrie sind auch Aufgaben von Verfahrensingenieuren.

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