Schlußbetrachtung

Wie die allgemeinen und speziellen Betrachtungen gezeigt haben, sind die Aufgaben und Arbeitsweisen der Verfahrenstechnik sehr umfangreich und vielgestaltig. Bei der Herstellung und Verarbeitung chemischer Produkte treten große Änderungen der Parameter Druck und Temperatur auf, die umzuwandelnden oder umgewandelten Stoffe liegen häufig als Mehrstoff- und Mehrphasensysteme vor - Umstände, die sowohl die technische; und technologische Verwirklichung eines Stoffwandlungsprozesses als auch seine theoretische Durchdringung und Formulierung kompliziert machen. Graasmann schreibt in diesem Zusammenhang: »Wohl in keinem anderen Gebiet muß sich der Ingenieur sosehr vom Althergebrachten lösen und immer wieder neue Wege suchen« und weist damit auf die Kurzlebigkeit chemischer Verfahren hin, wenn sie modern, d. h. wirtschaftlich sein sollen. Ideen zur grundlegenden Prozeßgestaltung und zur Prozeßintensivierung sind nicht berechenbar; sie müssen dem Schöpfertum des Ingenieurs entspringen. Für den Studierenden muss das Anlass sein, bestehende Gestaltungsbeispiele anhand von Literatur, im verfahrenstechnischen Labor sowie bei Exkursionen im Betrieb und im Berufspraktikum nachzuvollziehen. Können zur Lösung einer Aufgabenstellung auf Grund des erworbenen Erfahrungsschatzes grundsätzliche Lösungsvorschläge gemacht werden, ist mit den hier dargestellten Arbeitsprinzipien und Methoden die beste Variante zu finden. Für anfängliche Vergleiche sind Überschlagsrechnungen zu bevorzugen, die ungeeignete Lösungsvarianten durchaus erkennen lassen. Genauere und aufwendige Berechnungen und meist auch unvermeidliche experimentelle Arbeiten konzentrieren sich dann auf die verbleibenden Erfolg versprechenden Lösungswege.

Eine immer wiederkehrende Aufgabe ist in diesem Zusammenhang die Maßstabsübertragung, d. h. die Übertragung von Labor- oder Technikumsergebnissen in die Produktion. Bei der Anwendung des Prinzips der Maßstabsvergrößerung ist zu beachten, ob für den Vorgang des Reaktions- oder Apparatevolumens eine senkrecht zur Hauptstromrichtung stehende Apparatefläche (z. B. Rohrquerschnitt, Filterfläche usw.) oder eine parallel zur Stromrichtung vorlaufende Grenzfläche (Heizfläche, Phasengrenzfläche, Kontaktoberfläche) bestimmend ist. Ist bei Kaum und Flächenprozessen eine geometrisch ähnliche Vergrößerung möglich und nahe liegend, so muss bei Grenzflächenprozessen die aktive Fläche, an der ein Konzentrations- oder Temperaturmaximum bzw. -minimum herrscht, und der von der umgebenden Phase erfüllte Raum vergrößert werden. Da das Volumen mit der dritten Potenz, die Fläche aber nur mit der zweiten Potenz der linearen Abmessung wachsen, müssen entweder zusätzliche innere Oberflächen geschaffen werden (z. B. innere Wärmeübertrager in Reaktionsgefäßen, Füllkörperschüttungen, Rieselflächen) oder man stellt die- Fläche in den Vordergrund (Dünnschichttechnik). Weitere verfahrenstechnische Prinzipien, auf die an vielen Stellen dieser Darstellung Bezug genommen wird und die hier nur zusammenfassend aufgezählt seien, sind bei der Prozeßgestaltung zu berücksichtigen und anzuwenden. Es sind dies unter anderem die Prinzipien der Maximierung der aktiven Flächen, der Geschwindigkeitssteigerung der Teilchen in Richtung auf die aktiven Flächen durch Turbulenz oder Erwärmung, der Stromführung (Gleich-, Gegen-, Kreuzstrom, Kaskadenschaltung, Kreislauf), der selektiven Phase oder Gegenphase (z. B, bei der Extraktion, Absorption, Rektifikation) sowie der Triebkraft-Steigerung.

Es sei weiterhin darauf verwiesen, dass sich das Prinzip der Bilanzierung umfassend auf die Erfassung verfahrenstechnischer Probleme anwenden ließ. Mit der dargebotenen Methodik lassen sich Probleme der Analyse, Synthese, Modellierung und Bewertung von Prozessen und Grund Ausrüstungen der Verfahrenstechnik unter mehr oder weniger stark vereinfachenden Voraussetzungen bearbeiten. Bei der ständig fortschreitenden Entwicklung der Verfahrenstechnik ist damit zu rechnen, daß empirisches Wissen und unkorrekte Zusammenhänge, auf die in bestimmten Gebieten mangels genauerer wissenschaftlicher Erschließung nicht verzichtet werden konnte, in absehbarer Zeit überholt und durch modernere Darstellungen zu ersetzen sein werden.

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